Energiearmut als neue Gefahr

Aus dem Rathaus

Anzahl von Strom- und Gassperren deutlich gestiegen

Die Anzahl von Strom- und Gassperren in Berlin ist im Jahr 2021 deutlich gestiegen, die Anzahl der Unterbrechungen stieg ebenfalls. Dies geht aus meinen regelmäßigen Anfragen bei der Senatsverwaltung hervor. Energiearmut ist damit, angesichts der rasant steigenden Kosten für Strom und Gas, ein neuer sozialer Zündstoff und fordert ein rasches Handeln der Regierung nicht nur im Land Berlin.

Energiearmut beginnt, wenn Menschen davor Angst haben müssen, zu Hause im Kalten oder Dunkeln zu sitzen. Betroffen sind vor allem Haushalte, die mindestens 40 Prozent ihres Nettogehalts für die Warmmiete ausgeben müssen. Davon sind in Anbetracht galoppierender Preissteigerungen immer mehr Menschen und vor allem Familien betroffen. Ein trauriger Ausdruck dieser Entwicklung ist die Statistik der Strom- und Gassperren in Berlin, die regelmäßig beim Senat erfragt werden. Sie sind im Jahr 2021 weiter gestiegen.

Im vergangenen Jahr hat Vattenfall als Grundversorger für Strom im Stadtgebiet von Berlin 91.130 Sperrankündigungen versendet. 12.550 Sperrungen wurden durchgeführt. Alle Sperrungen erfolgten im Grundversorgungstarif. 2020 gab es 71.598 Sperrankündigungen und 12.528 Sperrungen.

Nach Angaben der GASAG kam es 2021 zu 100.266 Mahnungen mit Sperrandrohung, 40 Prozent davon an Haushalte in der Grund- oder Ersatzversorgung. Zur Unterbrechung der Gasversorgung kam es bei 1.703 Haushalten, davon 1.156 in der Grund- oder Ersatzversorgung. 2020 gab es 85.584 Sperrandrohungen und 1.264 Unterbrechungen. 

Das bedeutet, dass Energieversorger den Haushalten, die ihre Rechnungen nicht bezahlen beziehungsweise nicht bezahlen können, Strom oder Heizung abstellen, bis eine Schuldentilgungsvereinbarung getroffen wird. Das ist schon ab einem Zahlungsverzug von 100 Euro möglich. Oft sind es nicht die monatlichen Voraus-, sondern hohe Nachzahlungen, die sich Menschen mit geringem Einkommen und ohne Ersparnisse nicht leisten können. Kein Strom bedeutet: kein Licht, keine elektrischen Geräte, also kein Kühlschrank, kein Herd, keine Waschmaschine, kein Computer. Menschen ohne Strom und Gas verlieren defacto das Recht auf soziale Teilhabe.

Deshalb fordern Energietisch und Naturfreunde vom Berliner Senat sofortige Maßnahmen gegen Energiearmut. Anfang Februar übergaben die beiden Initiativen ein entsprechendes Schreiben an die Senatssozialverwaltung. Auch dort wird das Problem gesehen: „Es ist dringend notwendig, gegen Energiearmut vorzugehen. Die vollzogenen Stromsperren der vergangenen Jahre sind ein Warnsignal“, sagt Stefan Strauß, Sprecher der Sozialverwaltung. Die Hauptforderung von Energietisch und Naturfreunden, ein Verbot der Energiesperren, unterstütze der Senat. Dies könne aber nur auf Bundesebene entschieden werden und wurde zu Beginn der Corona-Pandemie vorübergehend bereits umgesetzt.

In ihrem Koalitionsvertrag versprechen SPD, Grüne und Linke, »sich auf bundespolitischer und europäischer Ebene für ein Verbot von Stromsperren und für die Übernahme von Zahlungsausfällen durch die Sozialleistungsträger« einzusetzen. Außerdem »möchte die Koalition die Zahl der Strom- und Gassperren verringern und bei sozialen Härten ganz vermeiden«. 

Konkret kann und muss die Berliner Regierung auf Landesebene finanzielle Instrumente wie einen Notfallfonds im Haushalt einplanen, mit dem arme Menschen ohne Anspruch auf Transferleistungen unterstützt werden, da von Energiearmut häufig Familien betroffen seien, deren Einkommen knapp über der Sozialleistungsgrenze liege. Zudem ist die Übernahme von Energieschulden für Transferleistungsempfänger*innen laut Sozialverwaltung bereits gesetzlich vorgesehen.

Der Berliner Senat setzt sich auf bundespolitischer und europäischer Ebene für ein Verbot von Stromsperren und für die Übernahme von Zahlungsausfällen durch die Sozialleistungsträger ein. In Berlin wird die Arbeit der vom Land geförderten Energieschuldenberatung der Verbraucherzentrale immer wichtiger. 2021 wurden insgesamt 749 Beratungen durchgeführt, davon 84 Prozent zu Strom- und 16 Prozent zu Gasschulden. Im Mahn- und Sperrprozess (angedroht oder vollzogen) befanden sich ca. 68 Prozent. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, rasch zu helfen. Die Regelsätze von Transferleistungen müssen umgehend an die Realitäten angepasst werden. 

Die Unterstützung der Bundesregierung für die berechtigten Haushalte ist angesichts der massiv gestiegenen Energiepreise bei Weitem nicht ausreichend und müsste, so wie vom Bundesverband der Verbraucherzentralen vorgeschlagen, bei mindestens 500 Euro liegen. Der Kreis der Zuschuss-Berechtigten muss zudem auf Menschen mit geringen Einkommen, die aber keine Sozialleistungen beziehen, ausgeweitet werden.

Die Senatssozialverwaltung unterstützt die Forderung ebenfalls und denkt laut Sprecher Stefan Strauß auch über eine steuerliche Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen oder eine Art Energiegeld nach.

Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Senkungseffekte bei den Benzinpreisen und der geplante Zuschuss von 300,- Euro für sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sind vor dem Hintergrund der zu erwartenden Mehrbelastung aller Haushalte bestenfalls ein Signal an Menschen mit mittleren und höheren Einkommen. Sie führen jedoch an dem eigentlichen Problem bei der dauerhaften Belastung im alltäglichen Leben der meisten Menschen in Transferleistungen oder geringen Einkommen und Renten vorbei.

 Stefanie Fuchs, MdA


Dieser Artikel erschien zuerst in Aus dem Rathaus vom 01.05.2022

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