Gute Pflege ist Frage der Würde

Aus dem Rathaus

Forderungen der Sozialverbände ernst nehmen

Die Auswirkungen der letzten Pflegereform werden gerade Stück für Stück für die Betroffenen spürbar. Und machen die Pflege für sie immer teurer. Die Sachleistungsbeträge der Pflegekassen wurden zwar ab dem 1. Januar 2022 um fünf Prozent erhöht. Dennoch steigen die von den zu Pflegenden zu leistenden Eigenanteile in diesem Jahr erheblich. Nach Angaben des Verbandes der Ersatzkassen VDEK hat sich der durchschnittliche Eigenanteil an den Pflegekosten von 1999 bis 2021 mehr als verdreifacht. Hinzu kommen aktuell massive Kostensteigerungen aufgrund von Krise und Inflation. Die Heiz- und Energiekosten steigen in den Pflege­einrichtungen genau wie die Lebens­mittelpreise. Bei Pflegeanbietern, die ihre Beschäftigten bislang nicht nach Tarif bezahlten, schlägt zudem die am 1. September in Kraft getretene Tariftreue­regelung nach dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) zu Buche.

Als sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DER LINKEN im Abgeordne­tenhaus kritisiere ich schon lange die Mehrbelastungen für die zu Pflegenden, ihre Angehörigen und für professio­nelle Pflegekräfte. Die Pflegekräfte sind nach über zwei Jahren Pandemie mit all den gesellschaftlichen Verwerf­ungen am Ende ihrer Kräfte. Die beschlossenen Lohnerhöhungen für sie sind mehr als angebracht, kommen aber um Jahre zu spät. Und werden gerade durch die Inflation aufgebraucht. Die Pflegeberufe bleiben unattraktiv. Außerdem werden die Lohnsteigerungen auf den Eigenanteil der zu Pflegenden aufgerechnet. Dadurch verteuert sich die Inanspruchnahme von Pflege­leistungen erheblich. Die Eigenanteile der zu Pflegenden steigen bei den nicht tarifgebundenen Einrichtungen und Diensten im Land Berlin um durchschnittlich 20 Prozent. Auf viele Heimbewohnende kommen je nach Region und Pflegegrad Steigerungen des Eigenanteils um mehrere hundert bis zu über 1.200 Euro zu. Menschen, die bisher mit guten selbst erarbeiteten Renten ihre Eigenanteile zahlen konnten, stehen vor der Wahl, mit einem Minimum an Leistungen auf eine angemessene Pflege zu verzichten oder Sozialhilfe beantragen zu müssen.

Ähnlich sieht es bei den Angehörigen aus, die ein Familienmitglied zu Hause pflegen. Zu den physischen Belastungen kommt die Sorge, wie Beruf und Pflegen zusammenzubringen sind. Wird die Arbeitszeit reduziert, sinkt das Einkommen. Angesichts der momentanen Inflation in allen Bereichen ist dies für viele keine Option. So bleibt oft weniger Zeit für die Pflege einer geliebten Person.

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung die Forderungen der Sozialverbände ernst nimmt und sich für eine Begrenzung der Eigenanteile oder die bundesweite Einführung eines Pflegewohngeldes entscheidet. Flankierend müssen Maßnahmen zum Schutz vor Altersarmut und für bessere Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf beschlossen werden; zum Beispiel durch einen Lohnersatz wie beim Elterngeld. Eine gute bezahlbare Pflege ist eine Frage der Würde, und die Anerkennung der Lebensleistung der zu Pflegenden, ohne die eine solidarische Gesellschaft nicht funktioniert.

Stefanie Fuchs


Dieser Artikel erschien zuerst in Aus dem Rathaus vom 01.11.2022

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