MfS-Überprüfung der Bezirksverordneten

Der Vorsteher der Bezirksverordnetenversammlung hat die Ergebnisse der Stasiüberprüfung der Verordneten vorgelegt. Die Fälle seien im Einzelnen zwar nicht besonders brisant, zeichnen in ihrer Gesamtheit aber doch das Bild eines allmächtigen Staats im Staate, die DDR sei daran moralisch gescheitert, findet Fraktionsvorsitzender Philipp Wohlfeil, der in der Debatte am 9. Juli sprach.

Herr Vorsteher, meine Damen und Herren,
drei der hier benannten Fälle betreffen die Fraktion DIE LINKE, zwei sind soweit bekannt und es liegen bezogen auf sie auch keine neuen Erkenntnisse vor.

In Spiegelstrich eins geht es um Herrn Franzke. Er war hauptamtlich, zuletzt als stellvertretender Referatsleiter im Dienstgrad eines Hauptmanns in der Abteilung Nachrichten dafür zuständig, abhörsichere Telefonleitungen für Regierungsbehörden zu verlegen. Vielleicht war es Glück, vielleicht war es Zufall, denn selbstverständlich gab es im Ministerium für Staatssicherheit ethisch und moralisch sehr viel problematischere Einsatzgebiete für Nachrichtentechniker. Dennoch, schon wegen der Zuordnung dieser Aufgabe zum MfS, war nach der Vereinigung eine zwischenzeitlich erwogene Fortsetzung dieser Tätigkeit im Dienste der Bundesrepublik nicht möglich.

Herr Dr. Erxleben, Spiegelstrich Nummer zwei, wurde als 21-jähriger als Inoffizieller Mitarbeiter für die Hauptverwaltung Aufklärung, also dem Auslandsgeheimdienst, geworben. Er wurde zunächst vorbereitet und dann mehrfach in die Bundesrepublik geschickt, um die Studierendenszene in Köln zu beobachten und Sympathisantinnen und Sympathisanten zu werben. Während einer dieser Aufenthalte im Westen ist er in eine Polizeikontrolle geraten und wurde verhaftet, aber wieder freigelassen. Danach wurde seine Auslandstätigkeit vorsorglich beendet. Anschließend wurde er hauptamtlich für die HV A im selben Themengebiet, westdeutsche Universitäten, beschäftigt. Allerdings wurde er noch vor Ablauf der Probezeit nach wenigen Monaten als ungeeignet entlassen und anschließend selbst überwacht.

Der Fall, der in Spiegelstrich vier der Vorlage behandelt wird, ist etwas anders gelagert und ich verhehle nicht, dass wir mit uns gerungen haben, ob wir den Namen öffentlich machen sollen oder nicht. Denn allein eine Karteikarte, wie die Stasiunterlagenbehörde selbst feststellt, ist kein Beleg für eine Zusammenarbeit mit dem MfS und diese wird von der Betroffenen auch vehement bestritten. Das Recht auf Datenschutz einer ehrenamtlichen Bezirksverordneten und ihrer Angehörigen sind hier gegen das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit auf Aufklärung und das Vertrauen in gewählte Mandatsträgerinnen und Mandatsträger abzuwägen. Wir sehen, dass letzteres überwiegt und wollen hier deshalb auch nichts verheimlichen. Ich bitte aber die Medienvertreterinnen und Medienvertreter um eine entsprechend angemessene und maßvolle Berichterstattung.

Zu Beginn der 1980’er Jahre gab es die Anfrage, ob sich der Ehemann von Edith Karge vorstellen könne, Aufgaben innerhalb eines UNESCO-Projektes zu übernehmen, in das auch die DDR eingebunden war. Die Koordination dieses Projektes erfolgte vom Sitz der Schweizer UNESCO-Kommission in Bern aus. Die Familie hätte dafür einige Zeit dorthin ziehen müssen. In diesem Zusammenhang fand ein, wie es vermutlich vor der Aufnahme von Tätigkeiten im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet üblich war, Gespräch der Eheleute mit Mitarbeitern des MfS statt. Dieses Gespräch war nicht besonders freundlich. Ihnen wurde bedeutet, dass sie schon in die Schweiz reisen könnten, der älteste der drei Söhne aber, der schon zur Schule ging, müsse als Pfand in der DDR bleiben. Das hat Frau Karge selbstverständlich abgelehnt, der Einsatz in der Schweiz kam nicht zustande. Das erklärt nicht, weshalb sie über vier Jahre hinweg als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit“ geführt wurde. Wahrscheinlich wurde der Vorgang einfach erst nach vier Jahren geschlossen, als klar war, dass eine Versetzung des Ehemanns ins Ausland nicht in Frage kommt. Der Zusammenhang mit dieser Begebenheit erscheint aber schlüssig, weil diese Karteikarte als Bestandteil der „Rosenholz“-Datei, die die CIA der Bundesrepublik übergeben hatte, aufgetaucht ist. Darin handelt es sich ausschließlich um solche der Hauptverwaltung Aufklärung, also auch hier nicht um Bespitzelungen innerhalb der DDR.

Zur Einordnung der Rosenholzdateien ein Zitat aus der Studie „Rosenholz – eine Quellenkritik“ von Helmut Müller-Enbergs aus dem Jahr 2007 veröffentlicht von der Stasiunterlagenbehörde:

Den größten Teil der »Rosenholz«-Unterlagen, die der Stasi-Unterlagen-Behörde heute vorliegen, bilden rund 293 000 Karteikarten aus der Personenkartei der HV A. Die HV A erfasste darin Personen, die für sie von Bedeutung waren. Intern trugen diese Karteikarten die Bezeichnung Form/Formblatt 16 (»F 16«). Sie enthalten den Namen und die persönlichen Daten einer Person sowie eine Registriernummer. In der F 16-Kartei wurden nicht nur inoffizielle Mitarbeiter (IM) der HV A verzeichnet, sondern auch Personen aus deren Umfeld und die Daten von Menschen, für die sich die HV A aus unterschiedlichen Gründen interessierte. Häufig wurden mehrere Personen unter einer Registriernummer geführt. Auch zu fiktiven Personalien wurden Karteikarten angelegt. Es ist deshalb nicht ohne Weiteres möglich, gezielt die Inoffiziellen Mitarbeiter in dieser Kartei zu identifizieren.

Also abschließend zu Frau Karge: Es liegen weder Personalakte, noch Verpflichtungserklärung oder von ihr verfasste Berichte vor. Nach allen üblichen Maßstäben gilt sie damit als unbelastet.

Auch in den Fällen von Herrn Franzke und Herrn Dr. Erxleben bleiben wir bei unserer Auffassung, dass die im Raume stehenden Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit der Wahrnehmung eines öffentlichen Mandats heute nicht entgegenstehen. Es ist nicht erkennbar, dass die genannten Verordneten das Vertrauen von Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn oder Kollegen missbraucht oder ihnen sogar geschadet haben. Sie räumen ein, dass sie Widersprüche in der DDR zwischen Anspruch und Realität nicht erkannt oder zu leichtfertig darüber hinweggesehen haben. Selbstverständlich besteht das bereits in der letzten Wahlperiode unterbreitete Angebot, dass die betroffenen Verordneten in den Fraktionen Fragen zu ihrer Biografie beantworten, fort.

Wenn wir alle vier Fälle betrachten, über die die Vorlage Auskunft gibt, werden wir feststellen, dass für sich keinem Fall besondere Brisanz innewohnt, aber zusammengenommen werden die Umrisse des Ministeriums für Staatssicherheit als allmächtiger Staat im Staate eben doch sichtbar, in dem Inlands- und Auslandsgeheimdienst, Spionageabwehr und jedenfalls teilweise polizeiliche Ermittlungsarbeit in einer Behörde zusammengefasst waren, wobei die Kontrolle, Zersetzung und Unterdrückung politischer Opposition eine zentrale, aber nicht die einzige Zielstellung war.

Ohne, wenn Sie mir den Bezug gestatten, dies gleichsetzen oder ablenken zu wollen, aber gerade vor diesem Hintergrund müssen wir in einer Demokratie geheimdienstliche Aktivitäten, wie die Überwachung von Abgeordneten, das Versagen der Verfassungsschutzämter bei den NSU-Morden und die bedingungslose Kooperation zwischen BND und NSA, besonders kritisch hinterfragen und sensibel bleiben. Es scheint, einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen demokratischer Kontrolle und Legitimation und Freiheit auf der einen Seite und geheimdienstlicher Tätigkeit andererseits zu geben.

Die DDR und der Staatssozialismus der SED sind an den Repressionen gegen die eigene Bevölkerung moralisch gescheitert.