„Wir wollten nicht, dass die ­Kinder Angst vor Zuhause haben“ Die Pfarrerin Carmen Kahn im Interview

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Frau Khan, der Angriff auf Ihren Mann geschah vor ­Ihrer Haustür. Wie haben Sie den Tag danach erlebt?

Das war die Nacht von Samstag auf Sonntag, kurz vor Mitternacht. Am Sonntag hatten wir ein großes Osterfest geplant, mit Kindern, Ponyreiten, Ostereiersuche, einem norwegischen Jugendchor. Und wir haben uns entschieden: Wir ziehen das durch. Wir wollten nicht, dass unsere Kinder – sie sind vier und sechs Jahre alt – ihr Zuhause plötzlich als gefährlichen Ort erleben. Es ging darum, dass das Leben für sie weitergeht.

 

Wie sprechen Sie mit Ihren Kindern über das, was passiert ist?

Wir haben ihnen nichts vorgemacht, aber wir erzählen langsam. Wenn sie fragen, geben wir ehrliche Antworten. Als unser Sohn nach sechs Wochen von sich aus zur Klassenfahrt wollte, war das ein echtes Zeichen von Selbstermächtigung. Und auch, dass er irgendwann fragte: „Wie ist das mit Papas Nase passiert?“ – da haben wir gesagt: „Papa wurde zusammengeschlagen.“ Und er hat das verstanden. Kinder spüren, wenn etwas nicht stimmt.

 

„Monir hat ­Todesangst“

 

Was ist nach dem Angriff noch ­passiert?

Ungefähr fünf Wochen später wurde unten am Gemeindeschaukasten die Glasscheibe eingeschlagen – wieder direkt vor unserer Tür. Monir war zu der Zeit nicht zuhause, aber als er kam und es sah, hatte er sofort Todesangst. Das hat mich richtig getroffen. Wir hatten eine Stunde lang mit zwei Nachbarinnen überlegt, ob das nicht auch einfach Zufall war. Aber eigentlich war uns klar: Er wohnt hier, es war gezielt.

 

Wie geht es Ihrem Mann heute?

Es ist ein Auf und Ab. Er war sechs Wochen krankgeschrieben, ist jetzt mit psychologischer Begleitung stufenweise wieder eingestiegen. Dass er sich zu einer Therapie entschlossen hat, war ein großer Schritt – denn er sagte anfangs: „Ich bin das Opfer. Warum muss ich jetzt auch noch Therapie machen?“. Es ist ungerecht, dass er jetzt die Scherben aufsammeln muss und trotzdem ist es wichtig, sich Hilfe zu holen, wenn man in Todesangst lebt.

 

„Die Bürokratie hilft nicht beim Heilen“

 

Wie erleben Sie die Reaktion der ­Behörden?

Erschöpfend. Die Unfallversicherung hat den Fall zunächst abgelehnt. Wir haben einen dreiseitigen Widerspruch geschrieben. Monir hat Respekt vor jedem amtlichen Brief. Dazu kommen unzählige Formulare zur Opferentschädigung. Das ist retraumatisierend. Man muss immer wieder beweisen, wie schlimm es war. Das hilft nicht beim Heilen.

 

Gab es konkrete ­Schutzmaßnahmen?

Es stand mal für ein paar Tage ein Polizeiwagen vor der Tür. Aber das gibt kein echtes Sicherheitsgefühl. Monir hat in der Nacht des Angriffs um Hilfe gerufen – niemand hat es gehört. Er sagte später: „Hier sind alles Roboter.“ Was wirklich hilft, ist, wenn Nach­bar:innen sich solidarisieren, wenn die Zivilgesellschaft Haltung zeigt. Ich habe das Gefühl, dass der Zusammenhalt in der Nachbarschaft seit der Tat enorm gewachsen ist. Das tut gut zu sehen.

 

„Die Täter fühlen sich sicher“

 

Was wünschen Sie sich von Politik und Polizei?

Dass die Tat als das benannt wird, was sie war: ein rassistischer Angriff. Dass Täter nicht das Gefühl haben, es passiert ihnen sowieso nichts. Und dass wir als Gesellschaft aufhören, uns wegzuducken. Die Polizei soll ihre Arbeit machen und zusätzlich brauchen wir Menschen, die nicht schweigen.

 

Was bleibt für Sie als zentrale ­Erfahrung?

Ich habe erlebt, wie es ist, wenn jemand Todesangst hat. Und ich sehe: Es ist ein Privileg, das nicht zu müssen. Ich habe aber auch erlebt, wie wichtig es ist, nicht allein zu sein. Die größte Kraft kam aus der Solidarität im Kiez, aus Gesprächen, aus echter Anteilnahme.

Was jetzt zählt, ist, dass wir im Gespräch bleiben. Dass wir hinhören, reden, uns nicht zurückziehen. Genau so ein Format will ich auch in der Kirche verankern: Räume schaffen, in denen Menschen einander zuhören. Denn das ist es, was wirklich etwas verändert.

 

Das Interview führte Emily Lau.

Hinweis: Die Linke hat im Berliner Abgeordnetenhaus eine Anfrage zum Stand der Ermittlungen gestellt. Noch gibt sich der Senat in der Antwort bedeckt und verweist auf die laufenden Ermittlungen des Staatsschutzes. Wir bleiben dran und werden berichten.


Dieser Artikel stammt aus dem blättchen vom Juli 2025. Die Zeitungen des Bezirksvorstandes und der Fraktion können hier runtergeladen werden. Beide Zeitungen gibt es auch als kostenloses Abo.